Geht nicht, gibt‘s nicht: Die Fraunhofer-Ausgründung TECNARO revolutioniert die Kunststoffindustrie

Manchmal ist es realistisch, das scheinbar Unmögliche zu versuchen. Vor 26 Jahren traten zwei junge Fraunhofer-Wissenschaftler mit ihrem Unternehmen TECNARO an, um die Flut aus erdölbasiertem Plastik einzudämmen. Heute ist aus dem Spin-off von damals ein florierendes, international aktives Unternehmen geworden, dessen Gründer weltweit als Repräsentanten der deutschen Innovationskraft gefragt sind. Wir sprachen mit den Geschäftsführern Jürgen Pfitzer und Helmut Nägele über den Weg vom idealistischen Start-up zum Schrittmacher der Materialwende in der Kunststoffproduktion.

Die TECNARO GmbH wurde bereits vor 26 Jahren gegründet. Sie gelten als ein Pionier unter den Fraunhofer-Ausgründungen. Warum haben sie ausgegründet, statt wie damals üblich einfach Patente zu sichern oder Technologien weiter zu verkaufen?

Helmut Nägele: Damals durch den Mangel an Alternativen: Wie die meisten Fraunhofer-Gründer waren wir leidenschaftliche Forscher am Fraunhofer-Institut für Chemische Technologie ICT und absolut technikbegeistert. Wir waren überzeugt davon, mit unserer Technologie erdölbasierte Kunststoffe bei sehr vielen Anwendungen durch nachwachsende, abbaubare und ressourcenschonende Alternativen ersetzen zu können. Wir wollten etwas gegen die wachsende Plastiklawine von damals bereits 100 Millionen Tonnen jährlich unternehmen – nicht unbedingt selbst ein Unternehmen gründen. Damals war jedoch kaum ein Partner auf Industrieseite bereit oder in der Lage, billiges Wegwerfplastik zu ersetzen, auch weil die Folgekosten und Konsequenzen noch zu wenig bekannt waren. Wir standen also vor der Alternative, unsere Forschungsergebnisse zu patentieren und abzuwarten oder selbst das passende Unternehmen für die Umsetzung zu gründen.

Jürgen Pfitzer: Im Grunde ist TECNARO wegen eines klassischen Fraunhofer-Dilemmas entstanden: Viele Zukunftstechnologien sind ihrer Zeit voraus und damit auch dem Markt. Wenn man das Bewusstsein für Nachhaltigkeit betrachtet, wären unsere Zielkunden von damals eigentlich Industriepartner von heute gewesen: Unternehmen, die an ihrer eigenen CO2 Bilanz arbeiten oder teure und komplexe Rücknahmeprozesse vermeiden müssen oder rückstandsfreie Plastikalternativen für die Land- und Forstwirtschaft benötigen. Das Bewusstsein gab es damals aber kaum bei potenziellen Partnern. Wir haben TECNARO gestartet, weil wir mit unserem Know-how und Fraunhofer-Technologien etwas bewirken wollten und eine Ausgründung erwies sich dafür als das beste Instrument.

TECNARO entstand also aus Idealismus, oder in Ihrem Fall besser: Aus Realismus für zukünftige Entwicklungen. Heute sind Sie ein weltweit erfolgreicher Mittelständler und mehrfach ausgezeichneter Branchenpionier. Wie kam es dazu?

Helmut Nägele: Zum einen, weil wir damals tatsächlich die Pionierarbeit geleistet haben, von der wir heute profitieren. Wir gehörten zu den ersten, die sich ernsthaft und konsequent mit Plastikalternativen auf Basis nachwachsender Rohstoffe beschäftigt haben. Auch die Produktionsverfahren mussten wir weitgehend selbst konzipieren und verproben. Natürlich war dabei die Nähe zu unserem Institut und die Möglichkeit, unsere Verfahren forschungsnah weiterzuentwickeln, ein entscheidender Vorteil. Heute haben wir einen Erfahrungs- und Wissensvorsprung, der sogar von großen Konzernen nachgefragt wird. 

Zum anderen werden heute immer mehr ökologische Folgekosten bilanziert, beispielsweise die Kontamination mit Mikroplastik, die Belastung von Fischbeständen etc. Sobald das geschieht, sind unsere Materialien wirtschaftlicher als erdölbasiertes Plastik.

Jürgen Pfitzer: Wir produzieren heute in Größenordnungen, die Kunststoffalternativen in vielen Nischen konkurrenzfähig oder sogar kostengünstiger machen. Nehmen wir zum Beispiel unseren Verbissschutz aus abbaubarem Kunststoff, der heute schon hunderttausendfach zum Schutz von Jungpflanzen in unseren Wäldern eingesetzt wird. Wenn man nur auf Produktionskosten schaut, ist erdölbasiertes Plastik immer noch billiger. Sobald diese Schutzhüllen aber wieder abgebaut, gesammelt und recycelt werden müssen, weil der Gesetzgeber die Kontamination des Waldes und des Trinkwassers mit Mikroplastik vermeiden will, sind unsere Bio-Hüllen für Forstwirte deutlich günstiger. Sie können rückstandsfrei vom Ökosystem Wald biologisch abgebaut oder verstoffwechselt werden, wenn die Jungbäume aus dem verbissanfälligen Alter herausgewachsen sind, ohne Einsatz von Personal oder Maschinen.

TECNARO wurde gegründet, bevor die Fraunhofer-Gesellschaft überhaupt institutionalisierte Ausgründungsinstrumente wie die Angebote von Fraunhofer Venture entwickelt hatte. Wie sah Ihre Ausgründung konkret aus?

Helmut Nägele: In unserem Fall haben viele leidenschaftliche Unterstützer innerhalb und außerhalb von Fraunhofer fehlende Methoden kompensiert. Wenn es etwas nicht gab, wurde es entwickelt. Wenn besondere Kompetenzen gefragt waren, wurden Partner mit einbezogen. Herr Dr. Kaiser, Herr Dr. Denkhaus, Herr Dr. Ostermann oder Frau Bachelin u.a. waren damals Ausgründungsenthusiasten bei der Fraunhofer Zentralverwaltung und haben mit uns eine regelrechte Pendeldiplomatie entwickelt: Wenn wir vor neuen Herausforderungen standen, besuchten sie uns, klärte die nächsten Schritte im persönlichen Gespräch und wenn wir bei politischen Institutionen oder Fraunhofer-Abteilungen vorsprachen, waren unsere Gegenüber häufig schon informiert, oder hatten sogar schon Lösungsvorschläge parat. Das war keine einfache Zeit, weil parallel zu unserer Ausgründung die Prozesse dafür mitentwickelt werden mussten. Es war aber auch eine einmalige Erfahrung, zu sehen, wieviel ein motiviertes Netzwerk an Unterstützern bewirken kann.

Trotz aller Erfolge nimmt Kunststoff aus Naturmaterialien immer noch eine Nischenstellung auf dem Weltmarkt ein. Wie wollen Sie das ändern, bzw. was ist die Zukunftsvision von TECNARO?

Jürgen Pfitzer: Die Koordinaten für den Einsatz von Kunststoffen ändern sich gerade weltweit, wenn auch nicht schlagartig, sondern Schritt für Schritt: Wir haben inzwischen die Fähigkeit, in vielen technisch anspruchsvollen Nischen zu skalieren und das Bewusstsein für ökologische oder finanzielle Folgekosten wird bei unseren potenziellen Kunden immer mehr zum Standard. Gleichzeitig häufen sich die Anfragen sehr großer internationaler Hersteller, die bei der Einführung nachhaltiger Kunststoffe von unserem Know-how profitieren wollen. Heute werden rund 80 Prozent des Plastiks weltweit in Asien hergestellt. Wenn wir dort zu einer Bewusstseins- und Materialwende beitragen können, dann können wir helfen, die Kunststoffwende in großem Stil zu skalieren. Dann wird aus unserem Idealismus von vor 25 Jahren Realität – und unsere Pionierarbeit zahlt sich für den Planeten und unseren weiteren Unternehmenserfolg vielfach aus.

Herr Pfitzer und Herr Nägele: Vielen Dank für Ihre Zeit, dieses spannende Gespräch und die Einblicke in die Pionierzeit der Fraunhofer-Ausgründungen.

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