Frau Thrän, was kann die Bioökonomie leisten, um die Transformation unserer Gesellschaft voranzubringen, unsere Zukunft also klimagerecht, naturerhaltend, sozial gerecht und ökonomisch nachhaltig zu gestalten?
Die Bioökonomie ist an ganz unterschiedlichen Stellen für die Transformation wichtig. Zum einen geht es darum, eine gesunde Ressourcenbasis zu erhalten, damit wir auch in Zukunft Produkte aus Biorohstoffen erzeugen können, die in der Bioökonomie verwendet werden können. Zum anderen kann man mit ausgewählten wichtigen Bioökonomie-Produkten Erdöl und andere fossile Stoffe substituieren – etwa bei Konsumartikeln oder auch im Baubereich. Da kann man gute Ergebnisse erzielen, wenn man mit Sonne, Wind und anderen natürlichen Ressourcen voranschreitet. Zudem geht es auch um biologisches Wissen, um Biotechnologie, mit der man letztlich durch neue biotechnologische Verfahren Bedarfe so decken kann, dass man dafür weniger andere Rohstoffe braucht.
Deswegen sehen wir im BioÖkonomieRat vier zentrale Beiträge der Bioökonomie für die anstehenden Probleme: Erstens zum Klimaschutz beitragen, zweitens die Rohstoffwende unterstützen, drittens für Innovationen einen verlässlichen Rahmen schaffen und viertens eine nachhaltige Land- und Flächennutzung.
Auf dem Bioökonomie-Forum wird Bilanz gezogen, wie weit die Bioökonomie bislang gekommen ist. Wie sieht Ihre Zwischenbilanz aus?
In der Bioökonomie wurden in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten viele gute Ansätze entwickelt – es entstanden neue bioökonomische Produkte und neue Bausysteme. Jetzt ist die große Frage, wie schnell die in den Markt kommen. Wir stehen in vielen Bereichen an der Schwelle zum Markteintritt. Die Bioökonomie jetzt umzusetzen, das ist die Herausforderung. Das bedeutet, Rahmenbedingungen zu schaffen, damit diese Produkte auch zum Zug kommen.
Nennen Sie uns bitte ein paar positive Beispiele.
Man kann Erfolge zum Beispiel an neuen Nahrungsmitteln festmachen, die mittlerweile in allen Supermarktregalen zu finden sind. Sie bestehen nicht mehr aus Fleisch, sondern nutzen alternative Proteine, die etwa aus Algen, Soja, verschiedenen Hülsenfrüchten oder auch der Jackfrucht bestehen. Auch die Nutzung von Insektenproteinen bei der Herstellung von Nahrungsmitteln ist nicht mehr ungewöhnlich. Perspektivisch werden sicher auch Proteine eine Rolle spielen, die über Präzisionsfermentation durch bestimmte Mikroorganismen hergestellt werden.
Bioökonomie-Produkte im Chemiebereich sollten stärker in den Fokus rücken. Es gibt inzwischen vereinzelt Unternehmen, die unterschiedliche Produkte aus Biomasse herstellen wie beispielsweise die UPM Biochemicals GmbH in Leuna. Sie errichtet die weltweit erste Bioraffinerie, in der aus nachhaltig erwirtschaftetem Laubholz Biochemikalien zur Fertigung von recyclingfähigen Alltagsgegenständen und Materialien gefertigt werden sollen.
Ein drittes positives Beispiel ist Holzbau, bei dem klimaintensive Rohstoffe wie Zement oder Stahl durch Holz oder Holzverbundstoffe ersetzt werden. Besondere Effekte kann man hier erreichen, wenn es sich um langlebige Materialien handelt, die zum Beispiel auch repariert oder renoviert werden können.
Warum hakt es vielfach noch an der Umsetzung?
Ich glaube, bezüglich der Umsetzung sind drei Fragen relevant. Erstens: Wie viel Biomasse haben wir überhaupt zur Verfügung? Zweitens: Wie kommen wir zu neuen Verfahren, die diese Biomasse effizient für innovative Produkte nutzen? Drittens: Wie machen wir das so, dass diese Aktivitäten nicht im Widerspruch beispielsweise zu den Biodiversitätszielen stehen oder zu Verteilungsungerechtigkeiten, auch im internationalen Bereich, führen?
Da wurden schon verschiedene Maßnahmen ergriffen und dafür ist die Gesamtschau auf die Bioökonomie hilfreich. Ein Vorschlag des BioÖkonomieRats war, sich eine Gesamt-Kohlenstoffbilanz für Deutschland anzuschauen, um daraus eine entsprechende Strategie zu entwickeln, wie der begrenzte Kohlenstoff eigentlich wo eingesetzt werden soll. Das könnte sich dann so ähnlich darstellen wie die Wasserstoffstrategie der Bundesregierung, die auch viel Rechtssicherheit erzeugt hat. Das ist die große Perspektive.
Wenn man sich die Frage stellt, wieso die Produkte nicht so schnell in den Markt kommen, dann muss man feststellen, dass es im Moment sehr viele Hürden gibt, neue Anlagen auszuprobieren. Wir haben zum Beispiel im Energiebereich die Option auf Reallabore, aber die gibt es jetzt für die Bioökonomie so noch nicht.
Ein ganz praktisches Beispiel: Wenn Sie versuchen, eine Bioraffinerie in ein fossiles Raffineriekonstrukt einzubetten, dann haben Sie andere rechtliche Regeln zu berücksichtigen. Eine Bioraffinerie produziert beispielsweise deutlich mehr und anderes Abwasser als die klassische Erdölverarbeitung. Das bedeutet zusätzlichen Aufwand für Planung und Genehmigung. Dies sind im Moment große Hürden, um dann tatsächlich auch Anlagen errichten zu können.
Der BioÖkonomieRat hat im Mai Vorschläge und Empfehlungen vorgelegt, wie der Regierung mit einer Nationalen Bioökonomiestrategie der Umbau zu einer ressourcenschonenden Wirtschaftsweise gelingen kann. Was sind die zentralen Botschaften?
Wir haben vor allem versucht, für die vier Bereiche Klimaschutz, Rohstoffwende, Innovation und Flächenschonung Handlungsempfehlungen zu geben, die gut und zeitnah umsetzbar sind. Sie sind gegliedert in zehn Themenfelder mit 55 Handlungsempfehlungen. Das umfasst ganz konkrete Vorschläge – beispielsweise, wie man in Bezug auf flächensparende Landnutzung mit Photovoltaiksystemen umgehen sollte. Oder: Wie man in der Landwirtschaft mehr Wertschöpfung generieren kann, indem man Biogasanlagen zu Bioraffinerien weiterentwickelt, und so sicherstellt, dass Biogasanlagen künftig ohne die Nutzung von großen Mengen Energiepflanzen betrieben werden können.
Es geht bei der Rohstoffwende sehr stark darum, wie die Rahmenbedingungen so gestaltet werden, dass diese Implementierung schneller gelingt. Die entscheidende Frage ist, wie man die Kreislaufwirtschaft bei der Rohstoffwende verbessern kann. Wie lässt sich zum Beispiel sicherstellen, dass Holz einen langen Lebenszyklus bekommt? Man muss sich bei Holz möglicherweise auch vor dem Hintergrund planetarer Grenzen fragen: Wie kann ein fairer Verbrauch aussehen? Es sind am Ende also nicht nur technische, sondern auch gesellschaftliche Fragen der optimalen und fairen Nutzung.
Bei Innovationen geht es darum, die biotechnologischen Entwicklungen, die in Deutschland eine starke Rolle spielen, schneller in den Markt zu bringen. Dafür muss man auch sicherstellen, dass Wagniskapital vorhanden ist, damit die Innovationskette gut funktioniert. Es braucht mehr Klarheit, um den Unternehmen die Richtung vorzugeben, damit solche Innovationen vorangebracht werden.
Wie offen ist die Bundesregierung für Ratschläge des BioÖkonomieRats?
Generell hat der derzeitige BioÖkonomieRat, dessen aktuelle Handlungsperiode Ende des Jahres zu Ende geht, unter anderem den Auftrag, die Umsetzung der Nationalen Bioökonomiestrategie zu unterstützen. In diesem Sinne gab es eine gute und von Interesse geprägte Zusammenarbeit mit der Bundesregierung. Eine zentrale Rolle spielt dabei eine interministerielle Arbeitsgruppe, die die Bioökonomie auf Regierungsebene voranbringen will. Schließlich ist es ein breit angelegtes Thema, das quer über die Ministerien geht. Federführend sind das Bundesforschungs- und Bundeslandwirtschaftsministerium, darüber hinaus zeigen Bundeswirtschafts- und Bundesumweltministerium starke Präsenz. Das hat den Vorteil, dass das Ganze als großes Bild angeschaut wird.
In dieser Breite haben wir Empfehlungen ausgetauscht und diskutiert. Dadurch brauchen Prozesse aber auch länger. Die Ansätze sind sehr unterschiedlich, zudem gibt es im BioÖkonomieRat eine große wissenschaftliche Vielfalt. Es geht deswegen nicht über Nacht, sich auf bestimmte Handlungsempfehlungen zu einigen.
Sie leiten das Department Bioenergie am UFZ und den Bereich Bioenergiesysteme am Deutschen Biomasseforschungszentrum. Welche Erkenntnisse aus Ihrer Forschung können Sie in den BioÖkonomieRat einbringen?
Das Ziel unserer Forschung ist es, ein umfassendes Verständnis der Wechselwirkungen zwischen erneuerbaren Rohstoffquellen, ihren technischen Nutzungsoptionen, der Umwelt und der Gesellschaft zu gewinnen und auf dieser Basis transparente Modellierungsansätze zu entwickeln, die diese Wechselwirkungen beschreiben. Die Modelle erlauben es, Szenarien von Entwicklungsperspektiven zu simulieren. Sie dienen damit sowohl als Entscheidungsgrundlage für nachhaltige Strategien im Bereich der Erneuerbaren Energien als auch im Bereich der Bioökonomie – und fließen natürlich auch direkt in die Arbeit des BioÖkonomieRats ein.
Welche Erwartungen haben Sie als eine der beiden Vorsitzenden des BioÖkonomieRats an die Tagung?
Wir wollen zwei Dinge erreichen: Zum einen wollen wir mit Kolleg:innen aus Forschung, Praxis und Politik diskutieren, wie die Umsetzung der Bioökonomie gelingen kann, und wie wir in den vier Handlungsfeldern schnell vorankommen, um die Bioökonomie umzusetzen und deren Potenzial zu nutzen. Zum anderen möchten wir auf diesem Weg natürlich gern zeigen, was an Überlegungen im BioÖkonomieRat in den vergangenen drei Jahren stattgefunden hat.
Die Ingenieurin und Systemwissenschaftlerin Prof. Dr. Daniela Thrän leitet das Department Bioenergie am UFZ-Standort in Leipzig und ist gleichzeitig Bereichsleiterin "Bioenergiesysteme" am Deutschen Biomasseforschungszentrum (DBFZ). An der Universität Leipzig hat sie den Lehrstuhl für Bioenergiesysteme inne. Daniela Thrän ist in zahlreichen Beratungsgremien und Beiräten tätig, unter anderem im Bioökonomierat der Bundesregierung, dem sie seit 2012 angehört und dessen Co-Vorsitzende sie seit 2020 ist.
Videoporträt: https://www.youtube.com/watch?v=fjdpgehPzoA
Weiterführende Informationen:
Nationale Bioökonomiestrategie (2021): https://www.bmel.de/DE/themen/landwirtschaft/bioeokonomie-nachwachsende-rohstoffe/nationale-biooekonomiestrategie.html
Handlungsempfehlungen des BioÖkonomieRats (Kurzfassung, 05/2023): https://www.biooekonomierat.de/media/pdf/stellungnahmen/biooekonomierat-broschuere-nachhaltig-umsetzen-DE.pdf?m=1684941445&
Im Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) erforschen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Ursachen und Folgen der weit reichenden Veränderungen der Umwelt und erarbeiten Lösungsoptionen. In sechs Themenbereichen befassen sie sich mit Wasserressourcen, Ökosystemen der Zukunft, Umwelt- und Biotechnologien, Chemikalien in der Umwelt, Modellierung und sozialwissenschaftlichen Fragestellungen. Das UFZ beschäftigt an den Standorten Leipzig, Halle und Magdeburg circa 1.100 Mitarbeitende. Es wird vom Bund sowie von Sachsen und Sachsen-Anhalt finanziert.
www.ufz.de
Die Helmholtz-Gemeinschaft identifiziert und bearbeitet große und vor allem drängende Fragen von Gesellschaft, Wissenschaft und Wirtschaft. Ihre Aufgabe ist es, langfristige Forschungsziele von Staat und Gesellschaft zu erreichen. Damit sollen die Lebensgrundlagen der Menschen erhalten und sogar verbessert werden. Helmholtz besteht aus 19 naturwissenschaftlich-technologischen und medizinisch-biologischen Forschungszentren.
www.helmholtz.de
Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung GmbH – UFZ
Permoserstr. 15
04318 Leipzig
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Leiterin des UFZ-Departments Bioenergie
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