Wir schreiben das Jahr 1987. Professor Herbert Reichl übernimmt den Lehrstuhl für Technologien der Mikroperipherik an der Technischen Universität Berlin. Mikroelektronische Technologien entwickeln sich in Europa und auch in Deutschland rasant, doch die Kluft zwischen immer kleiner werdenden Schaltkreisen und ineffizientem Packaging klafft weit auseinander. Die Aufbau- und Verbindungstechnik muss vor dem Hintergrund steigender Marktanforderungen mehr in den Fokus rücken und Chiphersteller und Anwendungen aus der Industrie zusammenbringen. Die Idee zur Entstehung des Fraunhofer-Instituts für Zuverlässigkeit und Mikrointegration IZM, wie das Institut mit 30-jähriger Forschungsgeschichte heute genannt wird, ist geboren.
Aufbauen
Unter der Leitung von Herbert Reichl kommt eine Gruppe aus Wissenschaftler*innen der TU und HU Berlin sowie der Akademie der Wissenschaften in Chemnitz zusammen und schafft im Dezember 1993 die Wiedervereinigung der Forschung aus West- und Ostdeutschland. Die Fraunhofer-Einrichtung für Zuverlässigkeit und Mikrointegration geht an den Start. Die Mission: Eine wettbewerbsfähige Aufbau- und Verbindungstechnik für die Industrie. Und zwar durch Umverdrahtungstechnologien, die es bisher in Europa so noch nicht gibt und die Chipherstellern völlig neue industrielle Anwendungsfelder eröffnen. Somit soll Deutschland als Wissenschaftsstandort in der Mikroelektronik manifestiert werden. Der erste Kooperationsvertrag mit dem Forschungsschwerpunkt „Technologien der Mikroperipherik“ der TU Berlin wird geschlossen, und auch personell arbeitet das Institut im engen Schulterschluss mit der Universität zusammen.
Verbinden
Bereits im Gründungsjahr gelingt der erste Coup. Erstmals in Europa wird der Einsatz von preisgünstigen polymeren Leiterplatten für die Flip-Chip-Montage als Schlüsseltechnologie für eine kostengünstigere Chipherstellung untersucht. Bei der Flip-Chip-Montage werden ungehäuste Halbleiter-Chips umgedreht und mit der gesamten aktiven Kontaktierungsseite mittels Kontaktierhügel – so genannter „Bumps“ – anstelle von Drahtverbindungen mit einem Substrat verbunden. Durch dieses Verfahren der Aufbau- und Verbindungstechnik lassen sich die Kosten des Bumpings einzelner Wafer sowie die Platzerfordernis auf dem Chip deutlich reduzieren. Bereits zwei Jahre später nehmen die Wissenschaftler*innen die erste Flip-Chip-Assembly Linie in Europa in Betrieb und arbeiten dafür mit führenden Anlagen- und Geräteherstellern zur Demonstration der Möglichkeiten der Flip-Chip-Technologie zusammen.
Aufgrund des großen Erfolgs in Industrie und Wissenschaft erhält das Fraunhofer IZM offiziellen Institutsstatus und ist damit vollständig in der Fraunhofer-Gesellschaft etabliert. Die erste prominente Anwendung der Flip-Chip-Technologie erfolgt 1997 durch die Forschung zum Einsatz von Pixeldetektoren in Teilchenbeschleunigern und begründet bis heute die Zusammenarbeit zwischen dem CERN und dem Fraunhofer IZM. Damals fertigen die Mitarbeitenden einen Demonstrator für ein Detektormodul auf Basis von Flip-Chiptechnologie, der dann im CERN zum Einsatz kommt.[1] Mit der Flip-Chip-Linie konnte gezeigt werden, dass die Technologie des Fraunhofer IZM in eine Produktionslinie für „oberflächenmontierte" Bauelemente (eng: Surface Mounted Technology, kurz SMT) integriert werden kann und somit bereit für die Einführung in der Industrie ist. Dank eines solchen Musterbeispiels anwendungsnaher Forschung werden viele kleine und mittelständische Unternehmen zur Kundschaft des Instituts.
An den verschiedenen Standorten werden aber nicht nur das Personal, sondern auch neue Themenfelder aufgebaut: So entsteht 1998 eine Abteilung und Außenstelle in Teltow (Brandenburg) und erweitert das Institutsportfolio um das Thema Polymermaterialien und Komposite. Im gleichen Jahr wird in Paderborn in Zusammenarbeit mit der dortigen Universität eine Projektgruppe gegründet und die Zusammenarbeit mit der TU Chemnitz verstärkt, so dass dort im Bereich Mikrosystemtechnik und Mikrosensorik eine Abteilung aufgebaut wird, die seit 2008 sogar eigenständig ist. In ganz ähnlicher Weise entwickelte das Fraunhofer IZM ab 2002 seinen Institutsteil in München innerhalb von acht Jahren mit Rolle-zu-Rolle- sowie 3D-Wafer-Technologien so weit, dass er mittlerweile zu einem eigenständigen Institut werden konnte.
Immergleich bleibt der Gedanke, eine starke Schulter für die angewandte Forschung im Bereich der Aufbau- und Verbindungstechnik zu sein. Bereits nach 10 Jahren hat sich das Fraunhofer IZM personell von knapp 20 auf über 200 Mitarbeitende und auch den Umsatz von 1,4 Mio. DM im Gründungsjahr auf 27,3 Mio. Euro Umsatz im Jahr 2004 erhöht.
Integrieren
Nachdem sich die Forschenden 10 Jahre mit der Suche und dem Finden von passenden Prozessen für die mikroelektronische Aufbau- und Verbindungstechnik beschäftigt haben, rückt ab 2003 auch immer mehr die Integration der Anwendungen in die Elektronik in den Fokus. Neue Materialien, die dehnbarer und flexibler sind, werden bis heute kontinuierlich erprobt. Der Markt der Wearables und Smart Textiles war geboren und ist bis heute ein wichtiges Standbein des Instituts. Auf der IFA 2005 stellen die Mitarbeitenden erstmals Kleidung mit integrierten Kommunikationssystemen vor. Darunter eine Lösung für Fahrradkuriere, die Auftragsabwicklung, Ortung und Navigation integriert und über den Dynamo mit Strom versorgt wird. Weitere Highlights auf dem Stand sind ein automatisches Sicherheitssystem, welches die fahrende Person erkennt und so Diebstähle des Fahrrads erschwert. Für die Ortung sind die Fahrenden mit einem GPS-System ausgestattet. Die Ärmel enthalten ein Display und ein textiles Tastaturfeld, um Steuerungsbefehle einzugeben.
Entlang der Anwendungen, die der Markt und auch die Industrie von der Mikroelektronikforschung fordern, entwickelt sich das Institut weiter und integriert sich innerhalb der Industrie und Wissenschaft durch technologische Lösungen für Herausforderungen in Branchen wie der Automobil- und Industrieelektronik, der Medizintechnik, IKT und im Halbleiterbereich. Im Jahr 2010 gründet sich der bis heute bestehende Standort in Dresden, das Zentrum „All Silicon System Integration Dresden“ (ASSID). Die Abteilung, in der Mitarbeitende in Berlin und Dresden zusammenarbeiten, verfügt an beiden Standorten über Reinräume und Labore mit hochmoderner produktionskompatibler Ausrüstung. Neben einer besonderen Flexibilität bei der Prozessierung von unterschiedlichen Wafergrößen zeichnet beide Prozesslinien aus, dass sie sich höchstindividuell an spezifische Prozessbedingungen anpassen können. Das ermöglichte im Jahr 2010 die Entwicklung einer Mikrokamera, die nicht größer als grob gemahlenes Salz ist und daher perfekt in eine Endoskopspitze passt. Dieser Durchbruch in der Medizintechnik war auf eine ausgeklügelte Aufbautechnik zurückzuführen, bei der die Integration von Optik und Sensor noch auf Waferebene erfolgt.
Nach dem 20-jährigen Bestehen, einem weiteren kontinuierlichen Wachstum in Zahlen und Persona und mittlerweile unter Leitung von Prof. Klaus-Dieter Lang, will das Institut sich auch weiteren Forschungspartnern in der Hardware-Produktion öffnen und gründet 2017 die Start-A-Factory, Berlins einzigartige Prototypen-Linie bestehend aus Geräte-Infrastruktur und einer Arbeitsumgebung, die speziell auf die Bedürfnisse von Hardware-Start-ups und die Entwicklung ihrer Prototypen ausgerichtet ist. Und auch dem Thema Nachhaltigkeit und Ressourcenmangel widmet sich das Fraunhofer IZM im laufenden Großprojekt namens Green ICT, um die Nachhaltigkeit von Informations- und Kommunikationstechnik (IKT) optimieren zu können, wobei die Expertise von Ökobilanzierungen und Nachhaltigkeitsstudien schon seit Anbeginn im Namen des Instituts steht. Zuverlässigkeit steht nicht nur für eine stabile Zusammenarbeit zwischen Forschung und Industrie, sondern auch für langlebige Elektronik, die bereits in der Produktion nachhaltig gedacht ist. Die Nachhaltigkeitsexpert*innen des Fraunhofer IZM arbeiten daher seit Jahren mit den führenden IKT-Unternehmen zusammen und haben auch bei der Entwicklung des Fairphones – dem Smartphone, welches auf Langlebigkeit und nicht den Neukauf nach nächstem Update setzt – mitgewirkt.
Heute stellen sich über 400 Mitarbeitende unter der Leitung von Prof. Martin Schneider-Ramelow neuen Herausforderungen wie dem Chipmangel, den steigenden Datenraten, der Energiekrise und vielem mehr. Dabei entwickeln sie Prozesse und Technologien für die Quantenelektronik, für 6G, für Zero-Power-Elektronik sowie hochperformante Systeme in außergewöhnlichen Anwendungen und für raue Umgebungsbedingungen.
Eines haben die Wissenschaftler*innen sowie das Team in der Verwaltung beibehalten: Den Geist, Neues entdecken zu wollen und dabei physikalische Grenzen zu verschieben. Ganz in diesem Sinn ist das Symposium anlässlich des 30-jährigen Bestehens zu verstehen: Unter dem Titel „Crossing Frontiers in Microelectronics“ zeigen die Forschenden, welche Grenzen sie in den nächsten Jahrzehnten verschwinden lassen wollen. Die Veranstaltung zusammen mit namhaften Industriepartnern gefolgt von einem Festakt mit hochrangigen Vertreter*innen aus Politik und Forschung findet am 28. September am Hauptstandort in Berlin statt.
[1] Hybride Pixeldetektoren erfahren eine breite Anwendung in der Teilchen- und Strahlungsdiagnostik. Sie bestehen aus einem an die Detektion physikalisch optimal angepassten Sensor und einem oder mehreren elektronischen Auslesechips, die in Flip Chip-Technologie miteinander verbunden werden.
(Text: Niklas Goll & Susann Thoma)
Weitere Informationen
- Überblick zum Fraunhofer IZM: https://www.izm.fraunhofer.de/de/institut.html
- Alles über die Jubiläumsveranstaltung: https://www.izm.fraunhofer.de/de/news_events/events/30-jahre-fraunhofer-izm.html
Das Fraunhofer IZM ist weltweit führend bei der Entwicklung und Zuverlässigkeitsbewertung von Technologien für die Aufbau- und Verbindungstechnik von zukünftiger Elektronik. Hierdurch entstehen Eigenschaften, die bislang eher untypisch für Mikroelektronik sind: zum Beispiel wird sie dehn- oder waschbar, hochtemperaturbeständig oder extrem formangepasst. Die Forschenden des Fraunhofer IZM setzen dabei ebenso Maßstäbe für die Umweltverträglichkeit von Elektronik.
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