Der Schutz persönlicher Daten ist seit dem Volkszählungsurteil aus dem Jahr 1983 in Deutschland grundrechtlich im Recht auf informationelle Selbstbestimmung verankert. Hinter dem sperrigen Begriff verbirgt sich nichts anderes als das Recht, grundsätzlich selbst über die eigenen persönlichen Daten zu bestimmen. Eine massenhafte Überwachung und Sammlung von Daten würde nach diesem Urteil gegen Persönlichkeitsrechte des Einzelnen verstoßen. Die Begründung des Gerichts: Allein das Gefühl, überwacht oder beobachtet zu werden, kann Verhalten ändern – Menschen sind nicht sie selbst, sondern handeln angepasst. Das klingt plausibel, doch empirische Untersuchungen zur Untermauerung dieser Annahme fehlten bisher nahezu vollständig.
DSGVO und Co. schützen Grundrechte
Hier setzen die ATHENE-Forschenden mit ihrer explorativen empirischen Studie an. Sie entwarfen einen Versuchsaufbau mit verschiedenen Formen der Beobachtung: 20 Versuchspersonen erlebten nacheinander verschiedene Wartezimmer-Situationen: Völlig unbeobachtet, mit eindeutig laufender Kamera, mit einer Kamera, die nicht klar ersichtlich an- oder ausgeschaltet war, und schließlich mit mehreren Personen, die sie beobachteten. Das Ergebnis: Ein Großteil der Teilnehmenden, nämlich 70 Prozent, ließ sich durch jede Form der Beobachtung in ihrem Verhalten beeinflussen, beispielsweise nicht in den Haaren herumzuspielen, Worte bedachter zu wählen, aber auch das Smartphone bei PIN-Eingabe wegzudrehen. Für 65 Prozent der Befragten machte es auch keinen Unterschied, ob sie tatsächlich beobachtet wurden, oder ob dies nicht klar war. Die Forschenden schließen daraus, dass es „für die freie Persönlichkeitsentfaltung von Menschen“ erforderlich sei, dass sie sich unbeobachtet fühlen.
Videotelefonie im Home Office
Ein zweiter Teil der explorativen Studie befasst sich mit den Auswirkungen von Videotelefonie, die während der Corona-Pandemie im beruflichen Alltag stark zugenommen hat. Hier haben die Forschenden bei den Befragten einen Gewöhnungseffekt festgestellt. 60 Prozent der Studienteilnehmer*innen gaben an, sich im Vergleich zu Beginn der Pandemie weniger von der Übertragung ihres Videos gestört zu fühlen. Die Forschenden sehen hier ein Alarmzeichen, dass sich das Beobachtetsein als neue Normalität etablieren könnte. Es drohe hier ein Verlust des Gefühls für Privatsphäre. Hier könnten laut den Wissenschaftler*innen schon ganz einfacher technischer Selbstdatenschutz wie Sichtschutzklappen vor Webcams helfen. Allerdings sehen die Forschenden auch einen Regelungsbedarf darüber hinaus: „In den Fällen, in denen das ständige Beobachtetwerden bereits ein Ausmaß angenommen hat, bei dem der Einzelne die damit einhergehenden Gefahren überhaupt nicht mehr absehen und einschätzen kann, muss […] über eine sinnvolle gesetzliche Regulierung und deren Umsetzung und Vollziehung in effektiver Weise nachgedacht werden“, schreiben die Autorinnen und Autoren im Fazit der Studie und begründen damit den weiterhin großen Forschungsbedarf im Bereich des Privatsphärenschutzes.
Zur Studie
Die Forschenden haben einen begrenzten Kreis von 20 Teilnehmenden befragt, die alle aus dem deutschsprachigen Raum stammen und als Angestellte mit Videokonferenzsystemen arbeiten, insgesamt zehn Männer und zehn Frauen zwischen 18 und 67 Jahren. Zukünftige Forschungsarbeiten könnten die Erkenntnisse dieses Beitrags durch ergänzende Datenerhebung validieren oder mit Studien aus anderen Sprachräumen vergleichen.
Ein zusammenfassender Artikel zu den Erkenntnissen der explorativen Studie zur Videotelefonie ist in der Fachzeitschrift DuD erschienen und kann hier gelesen werden: https://sit4.me/DuD-Selzer.
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