IHK-Hauptgeschäftsführer Dr. Marc Lucassen, dem die Rolle des Gastgebers zukam, wies auf die konjunkturellen Risiken des Fachkräftemangels für die bayerisch-schwäbische Wirtschaft hin. „Jedes zweite Unternehmen aus Produktion, Handel und Dienstleistungen sieht laut der IHK-Konjunktur-umfrage im Fachkräftemangel ein großes Risiko für die eigene wirtschaftliche Entwicklung“, so Lucassen. Für das Jahr 2030 prognostiziert der IHK-Fachkräftemonitor Bayern, dass in Bayerisch-Schwaben 71.000 Beschäftigte fehlen werden. Lucassen: „Diese Lücke, die sich von den Chefetagen bis hin zu den Ausbildungswerkstätten zieht, lässt sich nur durch gezielte Zuwanderung von qualifizierten Fachkräften und motivierten Leistungsträgern in den regionalen Arbeits- und Ausbildungsmarkt schließen. Daher ist es gut, dass das Fachkräfteeinwanderungsgesetz die Möglichkeit der schnellen Zuwanderung eröffnet. Das Gesetz ist ein großer Fortschritt und wir werben massiv dafür, dass die mit ihm verbundenen Chancen von der regionalen Wirtschaft ergriffen werden“, so Lucassen in der Diskussion.
Roland Fürst, Geschäftsführer Operativ der Agentur für Arbeit Augsburg, weist in seinem Statement darauf hin, „dass wir auch in diesen Zeiten ein funktionierendes Fachkräfteeinwanderungsgesetz benötigen. Auch in der derzeitigen Krise haben wir Engpässe, etwa auf dem Bau, in der Softwareentwicklung, der IT-Koordination- und Anwendungsberatung, der Altenpflege und nicht zuletzt im medizinischen Sektor, insbesondere im Krankenhausbereich. Das schrumpfende Fachkräftepotenzial ist die größte Wachstumsbremse – vor Corona und auch danach.“ Daher seien Partnerschaftsabkommen mit verschiedenen Ländern angedacht. Zuletzt hat die Bundesagentur für Arbeit mit der Republik Indonesien die erste Vermittlungsabsprache nach dem neuen Fachkräfteeinwanderungsgesetz unterzeichnet. Dies schafft die Grundlage für die Rekrutierung und Vermittlung von indonesischen Pflegekräften für Krankenhäuser, Kliniken und Pflegeeinrichtungen in Deutschland durch die Bundesagentur für Arbeit.
„Im Handwerk spüren wir den Fachkräftemangel, wie in den anderen Wirtschaftsbereichen auch, dies dokumentieren die stark zugenommenen Anfragen unserer Betriebe bezüglich des neuen Fachkräfteeinwanderungsgesetzes und der Anfragen zum Anerkennungsverfahren im Handwerk“, stellte Volker Zimmermann, stellvertretender Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer für Schwaben, fest. Das Fachkräfteeinwanderungsgesetz ist daher eine wichtige Möglichkeit, um an Fachkräfte zu gelangen, sei es an bereits ausgebildete Fachkräfte oder an Azubis aus dem Ausland. „Nachgefragte Berufe sind im Baugewerbe Maurer, Fliesenleger, weiter sind es Kfz-Mechatroniker, Anlagenmechaniker Sanitär-, Heizungs- und Klimatechnik, Mechatroniker für Kältetechnik, Friseure und zwar hauptsächlich aus dem Westbalkan, der Türkei, Marokko und Tunesien, Iran und Irak. Hier spiegelt sich die politische und wirtschaftliche Lage in den jeweiligen Ländern wieder. Stolpersteine im Verfahren sind unserer Erfahrung nach unzureichende Deutschkenntnisse oder das nicht kompatible Matching von Branche bzw. Betrieb und Referenzberuf. Dafür bedarf es einer ganzheitlichen Beratung und Begleitung für die Betriebe,“ so Volker Zimmermann.
„Gerade auch kleinen und mittleren Unternehmen fällt es zunehmend schwer ihren Fachkräftebedarf auf dem heimischen Arbeitsmarkt zu decken. Damit auch sie von den neuen Möglichkeiten der Fachkräfteeinwanderung profitieren können, benötigen sie professionelle Beratung und Unterstützung. Am besten vor Ort in der Region. Diese bieten wir im MigraNet – Fachinformationszentrum Einwanderung in Augsburg (FizE). Als neutrale, staatlich finanzierte Stelle beraten wir Arbeitgeber aus ganz Schwaben einzelfallbezogen zu allen Fragen der Fachkräfteeinwanderung und navigieren sie bedarfsgerecht durch den Umsetzungsprozess. Aufgabe des FizE ist es ferner, die vernetzte Zusammenarbeit aller am Prozess beteiligter Akteure zu fördern. Mit dem Ziel Unternehmen eine maximale Prozessqualität bieten zu können“, erläutert Martin Walter, Projektleiter MigraNet – Fachinformationszentrum Einwanderung Augsburg, Tür an Tür – Integrationsprojekte gGmbH.
„Gemeinsam mit den Partnern der Fachkräfte Initiative erreichen wir mehr, als wenn jeder nur seine eigenen Ziele und Projekte verfolgt. Denn letztlich ist es ein Ziel aller, dass die Unternehmen im Wirtschaftsraum Augsburg ausreichend Fachkräfte für ihren betrieblichen Erfolg finden, unter anderem auch über den Weg des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes. Diese Aufgabe, auch verbunden mit Fragen der Migration, liegt als ein Schwerpunkt bei den Partnern der Agentur für Arbeit, IHK und HWK. Nichtsdestotrotz tragen wir als Regio Augsburg Wirtschaft GmbH die Themen über unsere zahlreichen Kommunikationskanäle, Veranstaltungen und Publikationen kontinuierlich an die Unternehmen im Wirtschaftsraum Augsburg heran, um so die gesuchten Fachkräfte in speziellen Qualifikationen zu binden oder gar von außerhalb der Region anzuziehen“, so Stefanie Pöschel, Geschäftsfeldleiterin Fachkräftesicherung und -marketing bei der Regio Augsburg Wirtschaft GmbH.
Eckpunkte des Fachkräfteeinwanderungsgesetz
In seinem Input lieferte Martin Walter vom MigraNet-Fachinformationszentrum Einwanderung in Augsburg einen systematischen Überblick über das im März 2020 in Kraft getretene Fachkräfteeinwanderungsgesetz (FEG). „Im Kern regelt es die Einwanderung von Personen aus Drittstaaten mit formalen Berufsqualifikationen, die in Deutschland im Bereich Ihrer Qualifikation als Fachkraft arbeiten möchten“ erklärte Martin Walter. „Aber auch weitere Einreisezwecke wie die Einwanderung zur Ausbildung sind Bestandteil des FEG.“ Das Gesetz soll die Basis dafür schaffen, eine gezielte Einwanderung nach den Erfordernissen der deutschen Wirtschaft zu fördern und die Fachkräfteeinwanderung langfristig als eine strategische Säule der Fachkräftesicherung zu etablieren. „Dazu wurden die Regelungen und Abläufe einheitlicher, übersichtlicher und effizienter gestaltet“, so Martin Walter. „Der Arbeitsmarkteinstieg in Deutschland wird insgesamt leichter: Die ausländische Fachkraft benötigt ein konkretes Arbeitsplatzangebot und muss eine in Deutschland anerkannte Qualifikation vorweisen. Die Einschränkung auf bestimmte Mangelberufe fällt ebenso weg wie die Vorrangprüfung. Mit dem beschleunigten Fachkräfteverfahren wurde für Arbeitgeber eine Art „Überholspur“ mit einem verbindlichen Zeitrahmen geschaffen. Das macht den Prozess für sie planbarer.“
Beschleunigtes Fachkräfteverfahren
Wie das Fachkräfteeinwanderungsgesetz in der Praxis umgesetzt werden kann, verdeutlichte Stephan Mies von der Ausländerbehörde der Stadt Augsburg. In seiner Präsentation stellte er das „Beschleunigte Fachkräfteverfahren“ und dessen Umsetzung in der Stadt Augsburg vor. „Das Beschleunigte Fachkräfteverfahren bietet für die Arbeitgeber Chancen und Risiken, daher sei eine ausführliche Beratung bei den zuständigen Ausländerbehörden unabdingbar“, erklärte Herr Mies. „Im Rahmen einer gemeinsamen Vereinbarung sei es möglich, Verwaltungsabläufe zu verkürzen und ggf. zu einer Vorabzustimmung der Ausländerbehörde zu kommen. Auch der Familiennachzug des Arbeitnehmers ist im Rahmen dieses Verfahrens grundsätzlich möglich“, so Mies. „Wenn es um die Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse geht, ist es im Regelfall auf Grund der Komplexität dieses Anerkennungsverfahrens sinnvoll, dieses Verfahren schon im Vorfeld durchführen zu lassen.“
Rekrutierung ausländischer Fachkräfte und Fördermöglichkeiten
Kathi Ulrich referierte für die Agentur für Arbeit Augsburg zum Thema „Rekrutierung ausländischer Fachkräfte und Fördermöglichkeiten“. In ihrem Vortrag ging sie auf die Aufgaben des Internationalen Personalservice der Zentralen Auslands- und Fachvermittlung der Bundesagentur für Arbeit ein und erläuterte unterschiedliche Rekrutierungsprogramme der Agentur für Arbeit wie u.a. „Specialized“ für den Bedarf an medizinischem Fachpersonal und „THAMM“ bei Interesse an Fachkräften aus der M+E-Branche und dem Hotelfach. „Diese und weitere Programme stehen Arbeitgebern zur Verfügung, wenn Sie Fachpersonal aus dem Ausland für Unternehmen gewinnen möchten. Zahlreiche Beratungsleistungen rund um die Einreise, die VISA-Beantragung, den Spracherwerb, die inter-kulturelle Vorbereitung, Anpassungsqualifizierung und Anerkennung ausländischer Abschlüsse machen die Programme gegenüber einer Rekrutierung über privatwirtschaftlichen Auslands-vermittlungen attraktiv“, erklärte sie. „Außerdem können Arbeitgeber Kosten bei der Rekrutierung sparen durch attraktive Förderungen nach dem Qualifizierungschancengesetz. Gefördert werden können neben einem Zuschuss zum Arbeitsentgelt z.B. auch Grund- und Anpassungsqualifizierungen.“
Beispiele aus der Praxis
Medaktiv
Vor über zwei Jahren entstand, aufgrund eines enormen Fachkräftemangels im Bereich der Physiotherapie, die Idee ein Auslandsprojekt ohne klassische Personalvermittlungsagenturen ins Leben zu rufen. Mit Unterstützung unserer Projektpartner Migranet und Agentur für Arbeit ist das Projekt „Leben und Arbeiten als Physiotherapeut in Deutschland“ entstanden, welches im September 2020 begonnen hat. Aktuell stehen neun hochmotivierte Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten aus den unterschiedlichsten Ländern kurz vor ihrer staatlichen Anerkennung in Deutschland. Da das Projekt ein voller Erfolg ist, haben wir uns bei medaktiv entschlossen eine zweite Runde zu starten. Derzeit befinden wir uns in den ersten Kennenlerngesprächen mit den neuen Kandidaten, die im Februar 2022 zusammen mit uns und unseren Projektpartnern ihren neuen Lebensabschnitt in Deutschland beginnen werden.
Autefa Solutions Germany GmbH
Christian Egger (CEO Autefa Solutions Germany GmbH) und Cordula Heiler (HR Managerin) informierten über ihre Erfahrungen bei der Rekrutierung einer Fachkraft aus Indien für die Stelle „Senior Softwareentwickler“. Die Fachkraft war bereits viele Jahre als Freelancer für die Autefa Solutions Germany GmbH tätig bevor man sich entschlossen hat, den Kandidaten mit dem jahrelang angeeigneten Wissen fest nach Friedberg zu holen. Nach der Kontaktaufnahme mit dem Landratsamt Aichach-Friedberg war klar, welche Unterlagen und Dokumente nötig werden, um das Verfahren auf den Weg zu bringen. Vollmachten, Passkopien, Diplome etc. waren bald zusammengetragen. Durch den unkomplizierten Austausch zwischen Landratsamt und Arbeitgeber konnte man schnell die nötigen Unterlagen zur VISA-Beantragung fertigstellen. „Auch wenn Corona die Einreise nach hinten verschoben hat, freuen wir uns sehr, den neuen Kollegen seit der KW 37 in unserem Team in Friedberg zu haben.“
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