Doch nun verspricht ein von der Klaus Tschira Stiftung (KTS) gefördertes Projekt Abhilfe: Georg Schmidt, Medizinprofessor und Vorsitzender der Ethikkommission der Technischen Universität (TUM) München, hat mit seinem Team das Tool „eTIC“ entwickelt, das Aufklärungstexte für wissenschaftliche Studien leichter handhabbar macht. Die Abkürzung steht für „electronic Tool for the compilation of Informed Consent documents“ (auf Deutsch: elektronisches Tool zur Erstellung von Informations- und Einwilligungsdokumenten).
Im Gespräch erläutert Georg Schmidt gemeinsam mit Katharina Huster, habilitierte Immunologin und federführend im Projekt beteiligt, wie die wegweisende Initiative entstanden ist und welche Ziele konkret damit verknüpft sind.
Worum geht es bei eTIC?
Schmidt: Verständliche Patienteninformationen sind extrem wichtig, damit sich eine Person selbstbestimmt entscheiden kann, an einer Studie teilzunehmen oder nicht. Ich bin seit zehn Jahren Vorsitzender der Ethikkommission an der Technischen Universität München (TUM) und habe festgestellt, dass die eingereichten Unterlagen ein ständiges Ärgernis darstellen. Sie sind häufig ethisch-rechtlich nicht korrekt und zum Teil sachlich falsch, außerdem für Laien unverständlich. Wir fordern dann Korrekturen bei der Studienleitung ein, der Text wird punktuell angepasst und wieder eingereicht. Das Ergebnis ist häufig weiterhin nicht zufriedenstellend, und so gehen die Dokumente mehrfach hin und her. Das ist für alle Beteiligten eine zeitraubende Sisyphus-Arbeit. Vor zwei Jahren hatten wir dann die Idee zu dem Projekt und haben dazu einen Antrag bei der Klaus Tschira Stiftung eingereicht. Dabei gehen wir quasi vorneweg. Anstatt vorhandene Texte mühsam zu korrigieren, bieten wir ein Tool an, das den Forscherinnen und Forschern von Beginn an hilft, die Unterlagen korrekt zu erstellen.
Was hat Sie auf die Idee gebracht, Ihr Projekt bei der Klaus Tschira Stiftung einzureichen?
Schmidt: Ich hatte gehört, dass die Klaus Tschira Stiftung auch interessiert daran ist, Wissenschaftssprache verständlicher zu machen. Es handelt sich bei unserem Projekt zwar nicht um Wissenschaftsjournalismus, aber Wissenschaftskommunikation ist das allemal.
Wie funktioniert es?
Huster: Jeder Wissenschaftler, jede Wissenschaftlerin kann sich dank der Förderung kostenfrei unter https://etic-tum-prod.la2.io/ registrieren. Es reicht, die Mailadresse anzugeben. Dann landet man auf einer Startseite mit verschiedenen Symbolen, hinter denen sich Erstellungshilfen für bestimmte Typen von wissenschaftlichen Studien verbergen – solche mit Arzneimitteln, Medizinprodukten, sonstige medizinische Studien oder auch Studien ohne medizinischen Hintergrund, bei denen es beispielsweise zu einer Interaktion zwischen Mensch und Maschine kommt.
Und wie unterstützt eTIC dann?
Huster: Grundsätzlich gibt es bei diesen Aufklärungsunterlagen viele Details zu beachten, die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gar nicht kennen können. Das fangen wir ab, indem wir Standardtexte formuliert haben. Die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen beantworten Fragen, wählen dabei aus mehreren Optionen aus oder ergänzen einen Lückentext. Je nach Antwort entwickeln sich die Texte dann mit Hilfe programmierter Textbausteine in die rechtlich korrekte Reihenfolge – alles so knapp wie nur möglich. So entsteht eine strukturierte Patienten- oder Probandeninformation.
Das klingt einfach. Ist das schon alles?
Huster: (lacht). Nein, natürlich nicht. Im zweiten Teil stehen die Texte im Mittelpunkt, die die Studie wirklich ausmachen, also das echte Ziel, das die Wissenschaftlerin oder der Wissenschaftler verfolgen. Da geht es nicht darum, dass jemand nicht weiß, was er oder sie schreiben soll, sondern dass häufig so formuliert wird, dass es für die Studienteilnehmerinnen und -teilnehmer nicht zu verstehen ist. Also beispielsweise die Erläuterung, worum sich die jeweilige Studie überhaupt dreht oder warum sich jemand dafür zur Verfügung stellen soll. Das System erkennt zum Beispiel schwer- oder unverständliche Fachbegriffe und merkt dies an. Dann können diese Begriffe vereinfacht oder umformuliert werden. Zusätzlich gibt es eine Lesbarkeitsanalyse, die untersucht, wie verständlich die Texte sind. Das Hauptproblem ist meist, dass versucht wird, in einem Satz fünf Informationen gleichzeitig unterzubringen.
Dabei sind die Studienleiter sicher oft überzeugt, ganz normal zu formulieren, oder?
Huster: Stimmt genau! Der Vorteil des eTIC-Tools ist, dass man sich anzeigen lassen kann, was noch kompliziert ist und wie es besser geht.
Haben Sie ein Beispiel für typische Fehler, die mit eTIC verhindert werden können?
Schmidt: Der Datenschutz ist ein gutes Beispiel dafür, was man alles falsch machen kann. Alle Organisationen, alle Institute, alle Universitäten haben irgendwelche Mustertexte, die treffen aber meist nicht genau das, was für die konkrete Studie zutrifft. Bei uns sind es immer nur ganz konkrete Fragen zu dieser einen Studie: Welche Daten werden erhoben? Wo werden sie gespeichert? Werden sie weitergegeben und wenn ja, an wen und warum?
Huster: Der Wissenschaftler oder die Wissenschaftlerin muss keinen juristischen Hintergrund haben, nur wissen, was tatsächlich mit den Studiendaten passiert. Ein typisches anderes Problem ist die Länge der Texte. Die mit unserem Tool erstellten Texte sind deutlich kürzer als das, was die Ethikkommission sonst vorgelegt bekommt. Das Endprodukt ist ein strukturiertes Word-Dokument zum Herunterladen. Das heißt, alles ist so vorbereitet, dass es sofort eingesetzt werden kann. Was die Teilnehmenden an so einer Studie wissen müssen, nämlich Ziel der Studie, Ablauf, Risiken und Nutzen, lässt sich oft auf nur einer Seite zusammenfassen.
Wer ist die Zielgruppe?
Schmidt: Wir würden eTIC gerne als deutschen Standard etablieren. Da jeder Wissenschaftler, jede Wissenschaftlerin freien Zugriff auf eTIC hat, hat es sich zum Selbstläufer entwickelt: eTIC wird auch bereits von vielen Forschenden außerhalb der TUM genutzt. Wir hoffen, dass eTIC noch in diesem Jahr an den Arbeitskreis Medizinischer Ethik-Kommissionen in der Bundesrepublik Deutschland e.V. angebunden wird. Schon jetzt werden wir angefragt, ob wir das System auf Englisch oder für den europäischen Bedarf ausrollen würden, und auch Pharmafirmen sind sehr interessiert. Aber das ist alles Zukunftsmusik. Wir wollen eTIC erst einmal im Zuge der laufenden Förderung in Deutschland vernünftig etablieren.
Wo steht das Projekt aktuell?
Huster: Wir haben bereits jetzt eine Version von eTIC, die gut funktioniert und von allen Interessierten angewendet werden kann. Das haben wir in der ersten Projektphase erreicht. Noch nicht möglich ist es derzeit, Bilder oder Filme hochzuladen beziehungsweise Tabellen oder Listen anzuschließen. Darüber hinaus möchten wir noch eine Aufklärung in „Leichter Sprache“ erarbeiten. Hier wird es vor allem auch auf Bilder ankommen, die den Text besser verständlich machen. Bis zum Sommer nächsten Jahres, wenn die Projektförderung der Klaus Tschira Stiftung zu Ende geht, steht dann alles bereit.
Die Plattform ist zu finden unter: eTIC (la2.io)
Die Klaus Tschira Stiftung (KTS) fördert Naturwissenschaften, Mathematik und Informatik und möchte zur Wertschätzung dieser Fächer beitragen. Sie wurde 1995 von dem Physiker und SAP-Mitgründer Klaus Tschira (1940–2015) mit privaten Mitteln ins Leben gerufen. Ihre drei Förderschwerpunkte sind: Bildung, Forschung und Wissenschaftskommunikation. Das bundesweite Engagement beginnt im Kindergarten und setzt sich in Schulen, Hochschulen und Forschungseinrichtungen fort. Die Stiftung setzt sich für den Dialog zwischen Wissenschaft und Gesellschaft ein. Weitere Informationen unter: www.klaus-tschira-stiftung.de
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