Die Corona-Pandemie hat das Gesundheitswesen einem Härtetest unterzogen. Aber bereits vor der Pandemie stellten eine alternde Gesellschaft, die Zentralisierung medizinischer Einrichtungen und knapper werdende Ressourcen die ambulante medizinische Versorgung vor große Herausforderungen. Insbesondere im ländlichen Raum.
Im Modellprojekt HealthFaCT, das kurz nach Pandemiebeginn aufgestockt wurde und seitdem HealthFaCT-Cor heißt, wurden Algorithmen-basierte Entscheidungssysteme entwickelt, die Leitstellen, Gesundheitsämter und Apothekerkammern unterstützen sollen. Ein erstes wissenschaftliches Paper wurde kürzlich veröffentlicht. Das Team des Fraunhofer ITWM war in allen drei Forschungsgebieten beteiligt. »Die Coronakrise hat eindrücklich gezeigt, wie wichtig eine sorgfältig geplante medizinische Versorgung ist«, sagt Dr. Neele Leithäuser, stellvertretende Abteilungsleiterin am Fraunhofer ITWM. »Die schon zuvor angespannte Situation hat sich durch eine bis dato unbekannte Krankheit, umfangreiche Hygiene- und Schutzmaßnahmen sowie einen erhöhten Krankenstand in den Versorgungseinrichtungen zusätzlich verschärft.«
Unsicherheiten absichern, Timing optimieren
Die Forschenden am Fraunhofer ITWM entwickelten im Projekt ein datengestütztes Tool, das Entscheidenden in den Fokus nimmt. Es zeigt bestehende Optionen objektiv auf und bietet Möglichkeiten interaktiv Lösungen zu finden. Dafür verknüpfen die Forscherinnen und Forscher Optimierungsmethoden mit Erkenntnissen aus der Analyse großer Datenmengen. »Mathematisch gesehen werden vor allem Standort-, Überdeckungs- sowie Tourenplanungsprobleme untersucht. Herausfordernd sind dabei vor allem das robuste Absichern gegen Unsicherheiten sowie die Echtzeitoptimierung«, erklärt Leithäuser.
Schon vor der Zulassung erster Impfstoffe gegen COVID-19 haben sich die Forschenden des Fraunhofer ITWM zudem der völlig neuen Aufgabe gestellt, Impfzentren zu planen. Gemeinsam mit dem Robert Koch-Institut (RKI) und der TU Kaiserslautern wurde die Modellierung der strategischen Planung von Notarztstandorten auf diese spezielle Aufgabe adaptiert. Im Ergebnis entstand eine mathematisch fundierte Entscheidungsunterstützung für die Impfstoffverteilung, die gute Kompromisse bezüglich der Anreisedauer der Impflinge und der benötigten Standorte aufzeigt.
»Zum Planungszeitpunkt gingen wir von 500.000 Impfdosen pro Woche aus. Nicht nur die Anzahl hat sich verändert, durch die Einbindung der niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte haben wir nun ebenfalls andere Vorzeichen«, erläutert Leithäuser. »Für uns war es jedoch ein guter Praxistest, der uns gezeigt hat, dass die Planungen anhand unserer Modellierungen sehr gut auch in anderen Situationen umgesetzt und angepasst werden können.«
Apotheken: Arzneimittelversorgung sichern
Ein weiterer Forschungsschwerpunkt ist die flächendeckende Versorgung der Menschen mit Arzneimitteln, die sich bereits vor Corona als Herausforderung erwies: Die Arzneimittelnachfrage der alternden Gesellschaft steigt, während die ohnehin niedrige Apothekendichte weiter abzunehmen droht. Um Versorgungslücken zu schließen, wurden Optimierungsmodelle zur fairen Notdienstplanung und zur Standortplanung entwickelt. HealthFaCT-Cor zielt darauf ab, eine »robuste« 24- Stunden-Versorgung mit Arzneimitteln sicherzustellen Das heißt trotz kurzfristiger Ausfälle von Notdiensten, z.B. aufgrund von Quarantäne, soll jede/r Bürger/in eine Notdienstapotheke innerhalb einer angemessenen Entfernung erreichen können. Im Projekt ist am Fraunhofer ITWM in Zusammenarbeit mit der RWTH Aachen ein webbasiertes Tool zur Analyse von Notdienstplänen entstanden, das aktuell von der Apothekerkammer Nordrhein evaluiert wird.
Krankentransport von infizierten und nicht-infizierten Patient:innen
Auch die Optimierung des Krankentransportwesens ist ein wichtiger Bestandteil von HealthFaCT-Cor. »Die besondere Schwierigkeit in diesem Bereich liegt darin, dass dringende und kurzfristig bekanntwerdende Ad-hoc-Transporte zu Verspätungen bei den planbaren Transporten führen«, erklärt Prof. Dr. Frauke Liers vom Department of Data Science der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, die das Verbundprojekt HealthFaCT-Cor koordiniert. »Solche Verspätungen können jedoch problematisch sein, etwa, wenn Termine für Operationen oder die Dialyse angesetzt sind.« Für die Transportlogistik unter Pandemiebedingungen wurden die Ergebnisse von Infektionsmodellen zugrunde gelegt und beispielsweise die Krankenwagen in Pools aufgeteilt: in solche, die ausschließlich für Patient:innen mit bekannter Covid-19- Infektion vorgesehen sind, und solche, die alle anderen Menschen transportieren.
Über das Projekt:
Seit 2017 untersuchte ein Konsortium von Forschenden der Friedrich-Alexander- Universität Erlangen-Nürnberg (FAU), der RWTH Aachen, der TU Kaiserlautern und des Fraunhofer Instituts für Techno- und Wirtschaftsmathematik ITWM in Kaiserslautern im BMBF geförderten Projekt »Health: Facility Location, Covering, and Transport« (HealthFaCT) in drei Teilprojekten, wie sich Apothekennotdienste, Notarztstandorte und Krankentransporte besser planen lassen.
Um hilfreiche Tools auch für erschwerte Bedingungen während der Corona-Pandemie zu entwickeln, hatte das BMBF für das Projekt eine Aufstockung bewilligt: Auf HealthFaCT folgte, ergänzt um den Zusatz »Corona«, HealthFaCT-Cor. Das Projekt endete am 31.12.2020. Die Ergebnisse sollen künftig einen wertvollen Beitrag sowohl zur alltäglichen Planung im Gesundheitswesen, als auch zur Bewältigung von Krisen leisten. In einem Folgeprojekt arbeitet das Fraunhofer ITWM aktuell an einer Studie zur Standort-Optimierung von Rettungswachen in den Rettungsdienstbereichen Bad Kreuznach und Rheinhessen.
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