Die Corona-Krise und die politischen Reaktionen darauf treffen die Weltwirtschaft in einer Phase großer struktureller und gesellschaftlicher Herausforderungen wie dem Klimawandel, der digitalen Transformation der Wirtschaft und demografischen Entwicklungen. Vom Shutdown stark betroffen, beginnen der Unternehmenssektor und die Wissenschaft, ihre Forschungs- und Innovationsaktivitäten auf die Bewältigung der akuten Pandemie umzulenken. So wurde die medizinisch-pharmakologische Forschung forciert, um Impfstoffe und Therapeutika gegen das COVID-19-Virus zu entwickeln. Die Expertenkommission ist zuversichtlich, dass der nun begonnene Innovationswettlauf zu neuartigen medizinischen Lösungen führen wird, die bei der Überwindung beziehungsweise Linderung der Corona-Pandemie helfen können. Allerdings werden Forschungs- und Innovationsaktivitäten, die zur Bewältigung der langfristigen Herausforderungen aufgesetzt wurden, teilweise massiv zurückgefahren.
Die Expertenkommission warnt jedoch davor, die großen strukturellen und gesellschaftlichen Herausforderungen zu vernachlässigen. Sie sind weiterhin mit Forschung und Innovation anzugehen, denn sie werden die Corona-Krise mit Sicherheit überdauern. Dafür braucht es Anstrengungen, die den aktuellen zur Bewältigung der Pandemie mindestens ebenbürtig sind. Die dafür erforderlichen Ressourcen drohen jedoch durch die schwere Rezession infolge des historisch einmaligen globalen Shutdowns knapp zu werden, auch in innovationsstarken Volkswirtschaften wie Deutschland.
Darum ist es wichtig, dass die deutsche Politik bei einem schrittweisen Corona-Exit mit aktiven Maßnahmen den wirtschaftlichen Kollaps vermeidet, produktive Kapazitäten bewahrt und so die Voraussetzungen für ein rasches Anspringen der Konjunktur verbessert. Dies allein wird allerdings kaum ausreichen, um die in vielen Branchen pandemiebedingt finanziell stark strapazierten Unternehmen wieder in die Lage zu versetzen, mit notwendigen Investitionen und Innovationen den strukturellen Wandel zu begleiten, der sich unabhängig von der Corona-Krise vollzieht.
Die deutsche Forschungs- und Innovationspolitik muss ihrer Förderphilosophie treu bleiben und sollte sie weiterhin – wie in den letzten Jahren im Rahmen der Hightech-Strategie – langfristig auf strategische Ziele von hoher gesellschaftlicher Bedeutung ausrichten. Um erfolgreich zu sein, muss die Politik neben langfristigen auch kurz- und mittelfristige Perspektiven einnehmen. Besonders Unternehmen mit großen Innovationspotenzialen müssen möglichst unbeschadet durch die Corona-Krise kommen, um so in die Lage versetzt zu werden, ihre Forschungs- und Innovationsaktivitäten beim Wiederhochfahren der Wirtschaft schnell wieder auf die Bewältigung langfristiger gesellschaftlicher Herausforderungen ausrichten zu können.
Liquidität von Unternehmen sicherstellen, Konjunkturprogramm innovationsorientiert aufsetzen und F&I-Förderprogramme aufstocken
Nach Ansicht der Expertenkommission sollten die Bundes- und Landesregierungen den Neustart der Wirtschaft nach dem Shutdown durch eine innovationsorientierte Politik begleiten, die an drei Punkten ansetzt:
- Kurzfristig erforderlich sind Stützungsmaßnahmen zur Verbesserung der Liquidität vor allem der von der Rezession betroffenen strukturell gesunden Unternehmen, die im Kern über zukunftsfähige Geschäftsmodelle verfügen. Mit der Möglichkeit des vereinfachten Verlustrücktrags für kleine Unternehmen und Selbstständige hat die Bundesregierung bereits einen Schritt in diese Richtung getan. Mit Blick auf innovationsaktive Unternehmen ist darüber hinaus eine Absenkung des von den Unternehmen aufzubringenden Eigenanteils bei der Inanspruchnahme von öffentlichen Programmen der Forschungs- und Innovationsförderung empfehlenswert. Dies könnte finanzielle Verpflichtungen schnell und unbürokratisch verringern und der Gefahr vorbeugen, dass bereits laufende Innovationsvorhaben während der Krise wegen fehlender finanzieller Ressourcen abgebrochen werden.
- Mittelfristig werden Konjunkturpakete notwendig sein, die den Wirtschaftsmotor in Deutschland wieder ankurbeln. Diese sind so zu gestalten, dass sie den Zielen der bisherigen Forschungs- und Innovationspolitik nicht entgegenstehen. Ein möglichst hoher Anteil der vorgesehenen Mittel sollte daher investiv und innovationsorientiert verwendet werden. Zu empfehlen sind etwa Programme, die auf die Beseitigung der in der Corona-Krise deutlich zutage getretenen Schwächen in der digitalen Infrastruktur abzielen. Sofern die Politik Maßnahmen zur Stützung des privaten Konsums plant, sollten diese auf den sozialen Einkommensausgleich ausgerichtet sein, nicht jedoch auf eine Förderung der Nachfrage nach bestimmten Gütern und Dienstleistungen. Ansonsten werden die Maßnahmen erfahrungsgemäß nur Strohfeuer entfachen, Innovationsprozesse eher verlangsamen als beschleunigen und sie gegebenenfalls in unerwünschte Richtungen lenken. Deshalb spricht sich die Expertenkommission auch mit Nachdruck gegen die derzeit von der Automobilbranche geforderten Kaufprämien aus.
- Langfristig muss die strategisch ausgerichtete Forschungs- und Innovationspolitik der letzten Jahre mit Nachdruck weiter betrieben werden, da die kurz- und mittelfristigen Stützmaßnahmen die Innovationsaktivitäten der Unternehmen nur indirekt absichern. Ein klares Bekenntnis der Bundes- und Landesregierungen, bei dieser Politik trotz der durch die Corona-Krise stark verkleinerten Haushaltsspielräume keine Abstriche zu machen, kann in der derzeit hochgradig unsicheren Lage wichtige Planungssicherheit vermitteln. Die vor der Corona-Krise eingeleiteten Förderprogramme, etwa im Rahmen der Hightech-Strategie 2025, sollten daher in der bestehenden Ausrichtung fortgeführt werden. Zugleich empfiehlt die Expertenkommission eine Aufstockung der Förderbeträge, um der durch die aktuelle Rezession geschwächten wirtschaftlichen Position der Empfänger Rechnung zu tragen. Darüber hinaus ist die Auflage neuer langfristig orientierter Programme zur Förderung von Forschung und Innovationen zu prüfen. Diese sollten sich auf die Bewältigung von während der Corona-Pandemie zutage getretenen neuen Herausforderungen konzentrieren, insbesondere in den Bereichen Medizin und Gesundheit, aber auch mit Bezug auf die Resilienz von sozialen und ökonomischen Systemen.
Die Expertenkommission ist zuversichtlich, dass eine in diesem Sinne forschungs- und innovationsorientierte Politik zur Stützung und Förderung der deutschen Wirtschaft nicht nur aktuell wichtige Impulse für einen raschen Wiederaufstieg aus dem Corona-Tal und die Wahrung des sozialen Zusammenhalts geben wird. Eine solche Politik sorgt auch dafür, die strukturellen Voraussetzungen für eine erfolgreiche Bewältigung der weiterhin anstehenden großen gesellschaftlichen Herausforderungen zu verbessern und die Resilienz Deutschlands bei künftigen, fundamentalen Krisen deutlich zu erhöhen.
Die Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI) mit Sitz in Berlin leistet seit 2008 wissenschaftliche Politikberatung für die Bundesregierung und legt dieser jährlich ein Gutachten vor. Zentrale Aufgabe der EFI ist es, die Stärken und Schwächen des deutschen Innovationssystems im internationalen Vergleich zu analysieren und auf dieser Grundlage Handlungsempfehlungen für die Forschungs- und Innovationspolitik zu entwickeln.
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