Das neue Strahlenschutzgesetz ermöglicht in Deutschland weitere bildgebende Krankheitsfrüherkennungsuntersuchungen nach Zulassung durch das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (BMU). Im Mammografie-Screening-Programm sind die Auswirkungen einer systematischen Brustkrebsfrüherkennung durch die Diagnosevorverlegung inzwischen landesweit messbar: Nach flächendeckender Etablierung des Screenings werden in Deutschland inzwischen mehr Erkrankungen im Frühstadium diagnostiziert; unter Teilnehmerinnen weisen mehr als 50 Prozent der invasiven Karzinome einen frühen Befund auf (pT1). Für die betroffenen Frauen resultiert daraus ein enormer Therapievorteil.
Gesundheitspolitisch noch wichtiger ist der inzwischen epidemiologisch nachweisbare, signifikante Rückgang prognostisch ungünstiger Brustkrebs-Stadien (UICC II+) nach wiederholter Screening-Teilnahme. Diese Ergebnisse lassen bereits jetzt darauf schließen, dass durch das Mammografie-Screening die Sterblichkeit an Brustkrebs in Deutschland gesenkt werden kann. Für Frauen in einer Hochrisikosituation für die Entwicklung von Brustkrebs ist ein gesondertes Früherkennungsprogramm in Deutschland etabliert.
Eine weitere Früherkennungsuntersuchung, deren wissenschaftliche Evidenz weltweit steigt, ist die Niedrigdosis-Computertomographie (NDCT) zur Erkennung der Frühstadien einer Lungenkrebserkrankung bei Menschen mit erhöhtem Risiko (Raucher).
Nicht immer geht es bei der radiologischen Früherkennung um Krebs: Die Messung von Verkalkungen der Herzkranzgefäße zielt zum Beispiel darauf ab, Menschen mit erhöhtem Risiko für einen Herzinfarkt zu identifizieren. Eine systematische Ultraschalluntersuchung bei Männern ab dem 65. Lebensjahr soll Aussackungen – sogenannte Aneurysmen – der Hauptschlagader erkennen, bevor es durch ein „Platzen“ des Bauchaortenaneurysma zu unter Umständen lebensbedrohlichen inneren Blutungen kommt.
Viel Fragwürdiges auf dem Markt für Früherkennung
Aber: „Nicht jede Früherkennungsuntersuchung, die technisch möglich ist, ist auch medizinisch sinnvoll“, sagt Prof. Dr. Moritz Wildgruber vom Institut für Klinische Radiologie der Universität Münster. „Teilweise hat sich ein regelrechter Selbstzahlermarkt entwickelt mit Untersuchungen, deren medizinischer Nutzen oft mehr als fraglich ist.“ Eines der Probleme ist laut Wildgruber, dass längst nicht jede Art der Screening-Untersuchung Ergebnisse liefert, die für den Einzelnen relevant sind. Wenn bei einem Brustkrebs-Screening ein bösartiger Tumor entdeckt wird, dann wird dieser entfernt und der Patientin damit Schlimmeres erspart, bestenfalls sogar das Leben gerettet. Wenn dagegen bei einem Screening Kalk in den Herzkranzgefäßen gefunden wird, sind die Konsequenzen weit weniger klar. „Natürlich wissen wir aus großen Studien, dass Menschen mit höherer Kalklast ein erhöhtes Herzinfarktrisiko haben. Beim individuellen Patienten gibt die Untersuchung aber nicht automatisch eine klare Information darüber, ob dieser in naher Zukunft einen Herzinfarkt erleiden wird“, so Wildgruber. Mit anderen Worten: Es besteht die Gefahr, dass Untersuchungen mit Strahlenbelastung erfolgen, die keinerlei therapeutische Konsequenzen nach sich ziehen, was Verunsicherung erzeugt. „Es ist deswegen wichtig, dass bei Screening-Untersuchungen immer genau definiert wird, was mit der Untersuchung erreicht werden soll.“
Untersuchungen kombinieren, um Vorhersagen zu präzisieren
Ein zweites Problem der Früherkennung sieht Wildgruber, wenn durch Screening seltene Erkrankungen erkannt werden sollen: Es müssen dann im Verhältnis sehr viele gesunde Menschen untersucht werden, um die wenigen mit der relevanten Erkrankung herauszufiltern.
Anders ausgedrückt: Wenn Screening einen messbaren Effekt haben soll, müssen viele Menschen daran teilnehmen. Und je seltener die gesuchte Erkrankung ist, umso größer kann das Problem mit sogenannten „falsch positiven“ Befunden sein, also Auffälligkeiten in der Bildgebung, bei denen weiterführende Untersuchungen bis zu einer Gewebeentnahme notwendig werden, ohne dass am Ende ein krankhafter Befund erhoben wird.
Ideal ist das nicht, deswegen plädiert Wildgruber wie viele andere Radiologen dafür, bei der Früherkennung stärker als bisher das individuelle Risiko des Patienten in den Mittelpunkt zu rücken: „Wenn wir radiologische Screening-Untersuchungen mit anderen diagnostischen Methoden, etwa mit Biomarkermessungen, kombinieren, dann können wir viel präziser einschätzen, wie hoch das Erkrankungsrisiko der Person ist. Und in Szenarien, in denen es um Krebsfrüherkennung geht, können wir durch die Kombination mehrerer diagnostischer Verfahren das individuelle Risiko genauer fassen und so die Trefferquote der Früherkennungsuntersuchungen erhöhen.“ Zusätzliche Methoden können Labormessungen sein, aber auch Untersuchungen auf individuelle genetische oder metabolische Parameter. Hier ist Zusammenarbeit gefragt, weil unterschiedliche medizinische Fachrichtungen zum Screening beitragen: „Eine solche integrierte Diagnostik wird die Früherkennung in den nächsten Jahren maßgeblich voranbringen“, ist Wildgruber überzeugt.
Über den Tellerrand hinausblicken
Zum Fortschritt bei der Früherkennung beitragen werden auch technische Weiterentwicklungen in der Analytik der radiologischen Bilddaten, so Wildgruber: „Mit Hilfe selbstlernender Algorithmen und Big Data-Analysen lassen sich aus den Rohdaten von Screening-Untersuchungen möglicherweise Informationen gewinnen, die dem Auge des Radiologen nicht zugänglich sind. Das wird auch die Aussagekraft einer Screening-Untersuchung weiter erhöhen.“
Letztlich, so Wildgruber, werde es bei der Weiterentwicklung der Früherkennung darauf ankommen, über den Tellerrand einzelner Disziplinen oder einzelner Organe hinauszublicken. Weil die meisten schweren Erkrankungen den gesamten Organismus betreffen, mache es Sinn, sich auch bei der Früherkennung den gesamten Organismus anzusehen und nicht nur einzelne Teile davon, die zufällig einer diagnostischen Maßnahme zugänglich sind. Weitere Forschung auf diesem Gebiet ist notwendig, um die Versorgung der Bevölkerung weiter zu verbessern.
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