Pünktlich zur offiziellen Einführung des neuen SI-Systems ist es der TU Ilmenau gelungen, eine noch genauere Planck-Waage an den Start zu bringen. Sie erzielt jetzt einen Genauigkeitsbereich, der sonst nur in nationalen Metrologiebehörden wie die Physikalisch-Technische Bundesanstalt für Deutschland erreicht werden kann. Damit bestimmt die schon seit drei Jahrzehnten international führende Ilmenauer Kraftmess- und Wägetechnik einmal mehr den Stand der Technik.
Naturkonstanten als das Maß der Dinge
Entwickelt wurde die Planck-Waage am Institut für Prozessmess- und Sensortechnik der TU Ilmenau von einem Wissenschaftlerteam um Institutsleiter Professor Thomas Fröhlich. Anstoß für die Arbeiten im Rahmen eines vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Projekts war die anstehende Neudefinition des Kilogramms. Denn das Ur-Kilogramm – ein vier Zentimeter kleiner Zylinder aus Platin und Iridium, der seit 1889 unter drei Glasglocken in einem Tresor bei Paris steht – wird immer leichter. In hundert Jahren hat es 50 Millionstel Gramm verloren. Da sich alle Waagen auf der ganzen Welt über Umwege auf dieses Unikat beziehen, wird allenthalben, wenn auch nur minimal, falsch gewogen. Benötigt wurde ein neuer Standard, der sich niemals verändert, nicht beschädigt werden oder gar verloren gehen kann.
Die Generalkonferenz für Maß und Gewicht in Paris verabschiedete im November 2018 ein neues „Kilogramm“ – eines, das nicht mehr über einen Gegenstand, eine physische Masse, definiert wird, sondern über eine Naturkonstante: die Planck-Konstante h. Der Name „Planck-Waage“ spielt auf eben diese Konstante an. Nachdem der Wert von h nach jahrelangen enormen Forschungsanstrengungen international festgelegt wurde, können Massen allein über die Messung elektrischer Größen bestimmt werden.
Präzision durch Kraftkompensation
Die Forscher der TU Ilmenau machten sich dies bei der Entwicklung der Planck-Waage zunutze. Die hochpräzise Waage funktioniert nach dem Prinzip der elektromagnetischen Kraftkompensation. Vereinfacht gesagt, wird ein zu wiegendes Massestück auf der einen Seite der Waage durch eine elektrische Kraft auf der anderen Seite aufgewogen. Diese elektrische Kraft ist untrennbar mit der Planck-Konstante verbunden und lässt sich so unmittelbar auf die neue Kilogramm-Definition zurückführen. Professor Fröhlich: „Jedes Gewicht auf der Waage wird über eine Spule ausgeglichen und kann mit Hilfe elektrischer Kräfte vermessen werden. Damit kann die Planck-Waage stufenlos jedes Gewicht auf das Genaueste messen. Sie ist somit nicht nur in der Lage, sich mittels Referenzgewichten selbst zu kalibrieren, sondern auch in vielen Bereichen, bei denen es auf höchste Messgenauigkeit ankommt, beispielsweise bei der Herstellung von Medikamenten, für unterschiedlichste Messungen auch kleinster Mengen einsetzbar.“ Derzeit ist die Waage für präziseste Messungen beliebiger Gewichte im Messbereich von einem Milligramm bis hundert Gramm einsetzbar.
Hoher Bedarf in der Industrie
Wie bei vielen innovativen Forschungsergebnissen zuvor, arbeiteten die Forscher der TU Ilmenau auch bei der Entwicklung der Planck-Waage eng mit der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) zusammen. Als weltweit führendes Metrologieinstitut war die PTB maßgeblich daran beteiligt, das gesamte internationale Einheitensystem mit all seinen physikalischen Größen auf die Basis von unveränderlichen Naturkonstanten zu stellen. Damit war es möglich, die weltweit zwei bestehenden Ansätze, das Kilogramm auf Basis der Planck-Konstante zu bestimmen, zu verfolgen: das Avogadro-Experiment, in dem in einem nahezu fehlerfreien Kristall, einer perfekten Kugel aus isotopenreinem Silizium, die Zahl der Atome bestimmt wird und die Watt-Waage, die ähnlich wie die Planck-Waage die Gewichtskraft einer Masse im Schwerefeld der Erde durch eine elektromagnetische Kraft kompensiert. Durch beide Experimente wird der Wert der Planck-Konstante ermittelt, sodass sich beide Ansätze auf der Ziellinie treffen.
Während Wattwaage und Siliziumkugel ihre Aufgabe als Quelle von hochgenauen Referenzverfahren ausfüllen, ist die Ilmenauer Planck-Waage auf den Einsatz in breiten Industriebranchen ausgelegt. Von Herstellern von Präzisionswagen über Kalibrierlabore bis zur Medizin und Biotechnologie besteht ein hoher Bedarf an Waagen, die in der Lage sind, bis auf das Mikrogramm, also sechs Stellen hinter dem Komma, genau und beliebig wiederholbar einheitliche Messergebenisse zu erzielen. Deutschland stellt damit praktisch und einfach funktionierende Lösungen für beide Ansätze bereit.
Wägetechnologie der Zukunft
Die Ilmenauer Planck-Waage erfüllt schon heute die Anforderungen an die Präzision von morgen. Dank der Anschaffung einer neuen, pro-grammierbaren Anlage zur Messung der angelegten Hoch-spannung, einem so genannten Josephson-Array, konnte sie sogar noch weiter verbessert werden. Professor Fröhlich: „Die elektrische Spannung gehört zu den wichtigsten elektrischen Messungen im System der Planck-Waage. Sie wird benötigt, um die elektrisch erzeugten Kräfte sehr genau zu vermessen. Mit dem Josephson-Array – das den Gegenwert eines Einfamilienhauses hat – erreicht man nun bei 10 Volt eine Genauigkeit von bis auf 10 Stellen nach dem Komma. Im Vergleich zu den ersten Prototypen der Planck-Waage bedeutet das eine entscheidende Verbesserung.“ Damit arbeitet die Ilmenauer Entwick-lung auf einem Niveau an Genauigkeit, das bisher nur an nationalen Metrologiebehörden wie der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt in Braunschweig erreicht wurde.
Mit der Planck-Waage aus Ilmenau steht unmittelbar mit Inkrafttreten des neuen Internationalen Einheitensystems eine Waage zur Verfügung, die die Chancen der neuen SI-Einheit Kilogramm weltweit nutzbar für die Praxis macht. Die Zukunft einer neuen Wägetechnologie hat begonnen.
Technische Universität Ilmenau
Ehrenbergstraße 29
98693 Ilmenau
Telefon: +49 (3677) 69-0
Telefax: +49 (3677) 69-1701
http://www.tu-ilmenau.de
Pressesprecher
Telefon: +49 (3677) 69-5003
E-Mail: marco.frezzella@tu-ilmenau.de
Leiter Fachgebiet Prozessmesstechnik
Telefon: +49 (3677) 69-2822
E-Mail: info.pms@tu-ilmenau.de