Zum 200. Geburtstag von Heinrich Siesmayer: Bad Nauheimer Kurpark wird zur Bühne

Hunderte brennende Schuhe am Wegesrand, Kokons, ein Stuhl, Moskitonetze und eine Schattenwand in und zwischen den Bäumen, Projektoren auf der Wiese. Diese Installationen bilden die verschiedenen Szenen von „Ovids Traum“, einem Stück, das das Berliner Theater Anu am 26. August 2017 im Rahmen der Jubiläumsfeierlichkeiten „Siesmayer Sommer“ in Bad Nauheim inszeniert. Der Kurpark wird zu Ehren des 200. Geburtstags seines Schöpfers Heinrich Siesmayer zur Bühne. Im Anschluss an die Quellendankfeier sind an neun Orten im Bad Nauheimer Kurpark begehbare Installationen zu entdecken.

Ein Park wie ein „begehbares Landschaftsgemälde“
Ob Heinrich Siesmayer gedacht hätte, dass der von ihm geschaffene Kurpark einmal als Theaterkulisse dienen würde? Gefallen hätte es ihm vermutlich, denn auch wenn der am 26. April 1817 in Mainz-Mombach Geborene einer einfachen Gärtnerfamilie entstammt, so war er doch selbst Künstler, Visionär und zweifellos einer der bedeutendsten Gartenarchitekten des 19. Jahrhunderts. Der Bad Nauheimer Kurpark, der Frankfurter Palmengarten oder der Bad Homburger Kurpark sind nur eine kleine Auswahl seines Schaffens. Diese Anlagen und noch rund 400 mehr haben den Bockenheimer Gartenarchitekten Heinrich Siesmayer weit über die Grenzen des Rhein-Main-Gebiets bekannt gemacht. Nachdem er seine Lehre beim renommierten Landschafts- und Handelsgärtner Sebastian Rinz in Frankfurt abgeschlossen und dort weitere wertvolle Erfahrungen gesammelt hatte, gründete er 1840 die Firma „Gebrüder Siesmayer“.

1852 erstellte Heinrich Siesmayer erste Pläne für die Gestaltung von Grünanlagen in Bad Nauheim. Er hatte eine Vision, die schon wenige Jahre später Wirklichkeit werden sollte: Siesmayer ließ den Park 1855 im Stile eines englischen Landschaftsparks auf Papier entstehen, und der damalige Kurfürst Friedrich Wilhelm I. segnete diesen für das 19. Jahrhundert sehr modischen Entwurf persönlich ab. Zwei Jahre später begannen die Arbeiten. Alter Baumbestand, dichtes Buschwerk, luftige Freiflächen, idyllische Teiche und botanische Raritäten bilden auch heute noch ein in sich harmonisches Gesamtkunstwerk. Die geschwungenen Wege führen entlang dichter Wald- und offener Wiesenflächen, und an den Aussichtspunkten erhält der Betrachter den Eindruck, sich in einem „begehbaren Landschaftsgemälde“ zu befinden.

„Seinen Garten“, wie er ihn stolz nannte, besuchte er wöchentlich, und insgesamt war die Fa. Gebrüder Siesmayer mehr als 80 Jahre mit der Pflege des Kurparks betraut. Um seine herausragende Arbeit zu würdigen, wurde Heinrich Siesmayer 1871 zum Ehrenbürger Bad Nauheims ernannt. Dank liebevoller Pflege und Investitionen – der 21 Hektar große Park wurde im Vorfeld der Hessischen Landesgartenschau 2010 basierend auf den historischen Plänen saniert – ist der denkmalgeschützte Park eines der beliebtesten Ausflugsziele der Gesundheitsstadt. Die wohltuende Luft, die ästhetische Optik, die Vielfalt an Pflanzen – Erholungssuchende, Jogger, Familien, Natur- und Gartenkunst-Freunde erfreuen sich an Siesmayers Kurpark – und am 26. August auch Theater-Liebhaber.

„Ovids Traum“ lädt zum aktiven Erleben ein
Im Jubiläumsjahr 2017 widmet die Gesundheitsstadt Bad Nauheim Heinrich Siesmayer mit verschiedenen Veranstaltungen besondere Aufmerksamkeit. Die Entscheidung für „Ovids Traum“ fiel bewusst aus: „Es sollte etwas für alle Altersgruppen und etwas für die Sinne sein, das die Elemente des Landschaftsparks in Szene setzt“, erläutert Katja Heiderich, Geschäftsführerin der Bad Nauheimer Stadtmarketing und Tourismus GmbH, die Überlegungen hierzu. „Wir haben uns für eine Veranstaltung entschieden, bei der sich der Zuschauer nicht einfach vor eine Bühne setzt. Die Gäste können den Kurpark erkunden und ihn einmal aus einem anderen Blickwinkel erleben.“ Damit dies gelingt, hat auch das Theater Anu einige Vorarbeit geleistet, denn den Bad Nauheimer Kurpark passend zum Stück in Szene zu setzen und seine Besonderheiten einzubinden, ist eine Herausforderung: „Der alte Baumbestand, das Zusammenspiel von Wasser und Garten und die Weite sind unglaublich schön. Dies fordert uns jedoch heraus, aber die Aufgabe haben wir gerne angenommen. Die Auswahl der Orte unterliegt verschiedenen Faktoren, da sie bestimmten Anforderungen standhalten müssen. Nicht alle Bäume eignen sich dazu, um von unseren Tänzerinnen bespielt zu werden oder dazu, eine Kokonlandschaft über den Köpfen der Besucher anzubringen. Auch spielt die Dramaturgie der Szenenabfolge eine Rolle. Am Ende entscheidet immer das Gefühl, für jede Szene den bestmöglichen Spielort gefunden zu haben“, erklärt Bille Behr, künstlerische Leiterin des Theater Anu, die wichtigen Voraussetzungen für eine gelungene Kulisse, die in Bad Nauheim jedoch gegeben seien.

Der Kurpark wird zum „Garten der Wandlungen“
Die Produktion ist von dem Geschichtenwerk „Metamorphosen“ des römischen Dichters Ovid inspiriert, das aus insgesamt 15 Büchern besteht. Das zentrale Motto des Werkes ist: Verwandlung. Jede Geschichte endet in einer Metamorphose – die Personen werden zu Vögeln, Steinen, Bäumen oder Blumen. Die Kokonlandschaft über den Köpfen der Besucher oder das Gespinst aus Baldachinen oder eine große Schattenwand zwischen Bäumen. „Wir erschaffen eine begehbare Traumwelt aus Licht und Klang. Getanzte Leidenschaft – poetisch, mystisch, hypnotisch, geheimnisvoll, sinnlich und berührend zugleich“, erläutert Bille Behr den Hintergrund des Stückes. Auch in Bad Nauheim wird am Ende des Stückes alles zur Natur zurückkehren und seinen Platz im Kurpark finden. Die Besucher können die zurückgebliebenen Hüllen der Verwandelten sehen: „Schuhe, aus denen Flammen züngeln, Gewänder, die zu Lampen umgestaltet wurden. Das Gewebe der Kleider löst sich auf, wird zu neuem Faden gesponnen, eingeflochten von Baum zu Baum, verwoben in riesige Kokons. Soundinstallationen ausgewählter Geschichten des römischen Dichters, Tanz und ein Spiel mit Licht und Schatten bilden den Reigen um die Kraft menschlichen Seins. Eine hoffnungslos Liebende versteinert, einem Schwesternpaar wachsen nach vollzogener Rache Vogelschwingen, einer unglücklich Liebenden will die Verwandlung in einen Baum nicht gelingen. Doch nichts auf der Welt verschwindet. Geburt und Tod sind nur Prozesse der Wandlung. Es sind Geschichten von Liebe, Hybris, Rache, seelischen und körperlichen Leiden, aber vor allem von der Hoffnung auf ein besseres Leben“, beschreibt Behr die Geschichte von „Ovids Traum“.

Poetische Interpretation der antiken Mythenwelt
Das Theater Anu, gegründet in Heppenheim, hat seit 2007 seinen Sitz in Berlin. Die Compagnie erforscht seit über zehn Jahren poetische Theaterformen im öffentlichen Raum. In Zusammenarbeit mit etwa 25 Künstlerinnen und Künstlern bespielt sie unter der Leitung von Bille und Stefan Behr Parkanlagen, Plätze und besondere Orte – wie beispielsweise Kirchen, Tunnel oder Industriehallen. Die Grenze zwischen Zuschauer und Bühne wird bei ihren Aufführungen aufgelöst, so auch bei „Ovids Traum“ in Bad Nauheim. Eine besondere Inszenierung an einem besonderen Ort: „Das Theater Anu arbeitet mit dem Kurpark, d.h. was sie dort vorfinden, benutzen sie. Dies ist der Grund, warum die Installationen auch in jedem Spielort anders aussehen und, warum der Aufbau etwas länger dauert als bei klassischen Bühnenprogrammen“, erklärt Björn Kral vom Fachdienst Kultur und Sport.

Die Kombination aus Ton-Collagen, Klang-Installationen, Projektionen, Schattentheater, Licht und Tanz wird eine stimmungsvolle Inszenierung des historischen Kurparks werden, die den 200. Geburtstag seines Schöpfers Heinrich Siesmayer mit der besonderen Atmosphäre von „Ovids Traum“ ehren wird. Der Eingang zum „Theater Kurpark“ – zu erkennen an leuchtenden Mänteln, die an Bäumen angebracht sind – befindet sich auf Höhe der Brücke Sprudelhof Richtung Kastanienrondell. Von dort aus wird das Publikum von den brennenden Schuhen zu den insgesamt neun Stationen geleitet. Für das gastronomische Angebot sorgen an diesem Abend das Schweizer Milchhäuschen, das CONPARC Hotel und das Teichhaus. Der Eintritt zu „Ovids Traum“ ist frei.

Im Rahmen von „Siesmayer Sommer im Park“ wird es außerdem eine Fackelführung geben. Ein Highlight für Jung und Alt ist auch der Familiensonntag, an dem auf allen Wiesenflächen im Kurpark entspannt und gepicknickt werden kann, Drehorgelspieler und Geschichtenerzählerinnen die Besucher unterhalten, Baumkletterer ihre Arbeit demonstrieren und Führungen über die Bäume und Sträucher im Kurpark informieren.

Veranstalter des Siesmayer Sommers sind die Stadt Bad Nauheim (Fachdienst Kultur und Sport), die Stadtwerke Bad Nauheim GmbH, der Kur- und Servicebetrieb Bad Nauheim und die Bad Nauheimer Stadtmarketing und Tourismus GmbH.

Nähere Informationen gibt es bei der Tourist Information Bad Nauheim, Tel. (06 032) 92 992-0 oder unter www.bad-nauheim.de.

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Bildnachweis: Kurpark wird zur Bühne, Brennende Schuhe weisen den Weg durch den Kurpark, Ovids Traum_Eva und der Baum der Erkenntnis // Theater Anu, Berlin

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